Erfahrungsbericht von Physiotherapeutin Bettina in Alexandria, Virginia

Bettina lebt seit 10 Monaten in Alexandria, Virginia und arbeitet als Physiotherapeutin mit einem Jungen mit Down-Syndrom und der Autismus-Spektrum-Störung. Dank ihrer Fachkenntnisse als Physiotherapeutin und ihrer Erfahrung im Umgang mit Kindern mit besonderem Förderbedarf kann sie ihren Gastjungen tagtäglich ein glücklicheres und angenehmeres Leben schenken. In ihrem Bericht erzählt sie von ihren Erlebnissen und ihren gewonnenen Erfahrungen.

„Ich konnte noch nie so sicher sagen: Das hier ist die beste Zeit meines Lebens!“

Momentan lebe ich in Virginia und brauche nur ca. 20 Minuten mit der Metro ins Zentrum von Washington D.C.  Ich bin nun 10 Monate hier und bis jetzt fühle ich mich so wohl, dass ich gar nicht weg möchte. In diese großartige Gastfamilie zu kommen und die Möglichkeit zu haben, so viele verschiedene kulturelle Sachen zu erleben, neue Leute kennen zu lernen oder einfach nur neue Städte zu sehen, war definitiv die beste Entscheidung meines Lebens!

Neben den ganzen Dingen, die ich hier zu sehen kriege und erleben darf, möchte ich euch erst einmal über den wichtigsten Teil berichten: dem Au-pair – Leben. Meine unglaublich tolle Gastfamilie!

Ich kümmere mich momentan um zwei Jungs: J. (10) und A. (8). Da J. mit dem Down Syndrom und der Autismus Spektrum Störung diagnostiziert wurde, verbringe ich den Hauptteil meiner Zeit mit ihm. J. braucht Unterstützung und Sicherheit bei seinen täglichen Aufgaben (ADLs auch im therapeutischen Bereich genannt) wie zum Beispiel: An- und Ausziehen, essen, Badroutine und auch das Ausgehen in die Öffentlichkeit.

Andere therapeutische Ansätze als in Deutschland

Die meisten Dinge kann er schon ziemlich gut alleine und braucht nur hier und da Unterstützung. Allerdings braucht er immer jemanden, der ein Auge auf ihn wirft, da man nicht sicher sein kann, was er als nächstes plant. Es ist immer eine Freude für mich, auf J. aufzupassen und mich um ihn zu kümmern. Er ist ein glückliches Kind und liebt Aktivitäten an der frischen Luft. Seine Lieblingsbeschäftigungen sind schwimmen, Trampolin hüpfen und therapeutisches Reiten. Ich darf ihn bei all diesen Dingen begleiten und unterstützen. Es ist sehr schön, zu sehen, wie glücklich er dabei ist und wie er es bis zur letzten Minute genießt. Zusätzlich zu seiner Therapie in der Schule hat J. eine sogenannte Applied Behavior Analysis – Therapie zuhause. Dies ist hier in den USA eine sehr gebräuchliche Verhaltenstherapie für Kinder mit Autismus. Es ist eine interessante Erfahrung, einmal einen anderen Ansatz von Therapien mit zu erleben und zu sehen, welche Erfolge sie bringt.

Da J. zusätzlich dazu auch eine Hörbeeinträchtigung hat und komplett non-verbal ist, war es für mich etwas ganz Neues, mit ihm zu arbeiten! Es ist eine ganz andere Art der Kommunikation, wenn man sich hauptsächlich auf Mimik und Gestik stützt. Man beginnt Schritt für Schritt das Verhalten zu analysieren und entsprechend darauf zu reagieren. Seitdem ich angefangen habe, mit J. zu arbeiten, kennt er nun die einzelnen Schritte seiner Morgen- und Abendroutine. Er hat ebenso Fortschritte in seinen ADLs, Kommunikation und in seinem Verhalten gemacht. Er ist nun geduldiger und befolgt Anweisungen besser. Außerdem mögen wir es beide sehr gerne Spaziergänge zu machen und dabei die Strecke jedes Mal ein bisschen zu verlängern und auch ab und zu die Richtung zu wechseln.

Während der Betreuung und Förderung von J. wende ich viel meiner Kenntnisse an, die ich während meiner Physiotherapie-Ausbildung und meiner Arbeit mit behinderten Kindern und Jugendlichen gelernt habe. Sicherlich ist kein Kind wie ein anderes! Allerdings konnte ich schon zu großen Teilen meine Erfahrung mit einbringen. Auch hat mir meine Ausbildung geholfen zu verstehen, wie wichtig es ist, tägliche Routinen für J. zu finden, die ihn im Alltag unterstützen. Ich weiß, wie wichtig es ist, dass J. ADLs beherrscht, um mehr Unabhängigkeit zu erlangen. Etwas, das doch jeder Mensch haben sollte! Größtmögliche Unabhängigkeit!

Zusätzliche Erfahrungen aus meiner Ausbildung wie ergonomisches Arbeiten oder Schlüsselpunkte, die ich benutzen kann, um spezielle Bewegungen zu erreichen, helfen mir beim Arbeiten. Und natürlich auch das Wissen, dass eine gewisse Beständigkeit und Regelmäßigkeit mit die wichtigsten Dinge im Entwicklungsprozess eines Kindes sind.

Professionelle und persönliche Entwicklung

Andererseits mache ich mit A., der auch ein fröhliches Kind ist, eher die alltäglichen Au-pair-Arbeiten. Obwohl er mit Leukämie diagnostiziert wurde und schon seit circa 3 Jahren in Behandlung ist, machen wir ganz alltägliche Dinge wie: Hausaufgaben, zur Bibliothek gehen, Lego spielen, morgens für die Schule und abends fürs Bett fertig machen. Wegen seiner Diagnose und den Medikamenten fallen ihm körperliche Aktivitäten wie laufen, rennen, schwimmen oder ähnliches im Vergleich zu anderen gleichaltrigen Kindern schwerer. Allerdings geben wir hinsichtlich seiner Ausdauer unser Bestes, indem wir regelmäßig zur Schule laufen und darin immer besser werden.

Den Alltag einer Familie mit einem behinderten Kind zu erleben, hat mich professionell und persönlich um einiges weitergebracht. Es ist einfach etwas ganz anderes, wenn man mit den Aufgaben und Herausforderungen 24 Stunden am Tag lebt und das Kind nicht nur zwei Mal pro Woche für eine Stunde in der Therapie sieht. Man sieht und durchlebt alle kleinen Alltagsprobleme (und auch mal größere Probleme) und bekommt einen Eindruck davon, wie es ist, wenn man den ganzen Tag lang quasi Therapie macht. Oder zumindest die regelmäßige Beständigkeit, die man den Eltern als Therapeut immer ans Herz legt.

Zusätzlich dazu durfte ich noch all die schönen Erfahrungen machen, die mit Rennen oder Laufen für Kinder zu tun haben, die in Behandlung gegen ihre Krebserkrankung sind. Oder als ich in verschiedenen Camps dabei sein durfte, die speziell für Kinder mit Krebserkrankung und ihre Familien sind. Es war etwas komplett Neues für mich, dass es hier so viele Leute in den Vereinigten Staaten gibt, die Familien mit erkrankten Kindern helfen. Es ist einfach unglaublich und ehrenhaft meiner Meinung nach! Man kann auf jedem dieser Events sehen, wie groß die Gefühle und Unterstützung dieser Leute sind!! Ich habe mittlerweile so viele Erinnerungen davon, dass ich diese sicherlich nie wieder vergessen werde! Es erinnert mich, wie dankbar und glücklich man für sein Leben sein sollte, wenn man diese Kinder Karaoke singen, tanzen, schwimmen, spielen oder Ski fahren sieht. Ich bin mir sicher, es gibt viele Menschen da draußen, die nicht wissen, wie stark eine solche schreckliche Diagnose das Leben einer kompletten Familie verändern kann. Die Menschen hier versuchen sehr stark diesen Kindern und ihren Familien ein bisschen Leichtigkeit und Glücklichkeit in deren Leben zurück zu geben. Es ist eine sehr ehrenvolle Aufgabe und eine der besten Dinge, die man meiner Meinung nach machen kann!

„Wäre ich nicht hier her gekommen, hätte ich vielleicht nie genauer über so etwas nachgedacht oder vielleicht gar darüber Bescheid gewusst.“

Zusätzlich zur Arbeit kommen noch all die zahlreichen aufregenden Reisen hinzu, die man hier unternehmen kann. Die Städte, die ich bisher auf meiner „Bucketlist“ abhaken konnte sind: Washington D.C., New York City, Palm Beach in Florida, Dallas in Texas und einen gigantischen Road Trip durch New England. Und natürlich gibt es noch sehr viel mehr, dass ich „abhaken“ möchte! Wäre ich nur für ein paar Wochen zum Urlaub machen hier her gekommen, hätte ich niemals so viel erleben und sehen können. Wenn man für ein Jahr (oder zwei) in den USA lebt, kann man sich hier genügend Zeit nehmen, um jeden kleinen Flecken der Staaten zu erkunden und das macht aus dieser tollen Erfahrung zusätzlich ein großes Abenteuer! Eines der tollsten Dinge, die man hier durch das viele Reisen erleben kann: internationales und nationales Essen!

Außerdem macht man eine der unglaublichen und aber auch irgendwie ‚seltsamen‘ Erfahrungen, wenn man als großer Film- oder Serien-Fan an Orten vorbei läuft, die man sonst nur aus dem TV kennt. Der Times Square in NYC, bekannte Universitäten wie Yale oder Princeton oder auch Monumente wie das Weiße Haus in Washington D.C. sind nur ein paar solcher Orte, die ich besucht habe und dachte… Unglaublich! Jetzt stehst du direkt davor!

Ich bin so glücklich, dass ich die Entscheidung getroffen habe, als Professional Au-pair in die USA zu gehen. Es ist einfach großartig! Es hat mir nicht nur all diese verschiedenen Lebenserfahrungen gebracht, sondern ich habe mich auch persönlich weiter entwickelt. Ich bin sehr viel geduldiger geworden, offener gegenüber allen Dingen und Menschen, und ich kann mich eindeutig besser an verschiedene Situationen anpassen! Zusätzlich lernte ich in schwierigen Situationen ruhig und stark zu bleiben und positiv zu denken.

Um auf den Punkt zu kommen: Ich habe dadurch, dass ich hier her gekommen bin so viele Erfahrungen gemacht und auch Veränderungen durchlaufen, dass ich mit voller Gewissheit sagen kann, dass ich meine Entscheidung niemals ändern würde! Ich konnte noch nie so sicher sagen: Das hier ist die beste Zeit meines Lebens!

Was dich außer der Berufserfahrung sonst noch in unserem Programm erwartet?

Erfahrungsbericht von Physiotherapeutin Bettina in Alexandria, Virginia